„Kundendaten sind das neue Gold“

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Der deutsche Mittelstand läuft Gefahr, den digitalen Wandel zu verschlafen. Kommunikationsexpertin Sabine Clausecker, Mitglied im Bundesvorstand der DPRG e.V. Deutsche Gesellschaft für Public Relations, und Digitalisierungsberater Dr. Diethard Bühler zeigen im Praxisinterview Wege auf, wie Unternehmen den Wandel strategisch, technologisch und kommunikativ organisieren können.

 

Sie haben in jüngster Zeit eine Reihe von Unternehmen bei der digitalen Transformation beraten. Wie selbstbewusst gehen die sehr erfolgreichen deutschen Mittelständler den digitalen Wandel an?

Sabine Clausecker Wir beobachten eine deutliche Zurückhaltung. Sie sind bei der Digitalisierung eher zögerlich und eben nicht selbstbewusst. Man hat das Gefühl, viele Mittelständler wachen gerade erst auf. Die Unternehmen spüren einen Veränderungsdruck, müssen nun schnell reagieren. Sie haben die digitale Transformation zu lange nicht ernst genommen.

„Digitalisierung bedeutet heute nicht nur einen Tech-Change, sondern vor allem einen People-Change“

Wie äußert sich dieser Veränderungsdruck?

Dr. Diethard Bühler Das ist in den Branchen unterschiedlich: Mal ist es die Regulierung, mal die Erwartungshaltung der Kunden oder Zulieferer, mal ist es die Technologie oder auch neue, branchenübergreifende Wettbewerber. Die Digitalisierung spielt am Ende in allen Fällen eine maßgebliche Rolle. Sie kann Auslöser, Treiber oder Ziel der Veränderung sein. Nehmen Sie beispielsweise die großen Technologiekonzerne, allen voran Google, die begonnen haben, über die Herstellung von Autos, Medikamenten oder die Energieversorgung nachzudenken. Oder das Beispiel Apple Pay, das zeigt, wie schnell ein Technologiekonzern wie Apple in das Geschäft der Finanzdienstleistungen einsteigen kann – einfach, weil Apple über iTunes bereits die wesentlichen Zahlungsdaten seiner Kunden hat. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen mittlerweile verstehen, dass die Digitalisierung die Kostenstrukturen radikal verbessern kann und dass digitale Services und digitale Business-Modelle wichtig sind, um auf dem Markt zu bestehen – oder um neue Märkte zu erobern.

Und darauf sind die Unternehmen nicht vorbereitet?

Clausecker Nur sehr bedingt. Vielleicht verfügen sie über Einzelansätze und Software-Lösungen, aber Digitalisierung bedeutet heute nicht nur einen Tech-Change, sondern vor allem einen People-Change.

Die Digitalisierung macht sowohl Mittelständler als auch Industriekonzerne verwundbar. Unter den zehn höchstbewerteten Unternehmen der Welt befinden sich in diesem Jahr sechs digitale Unternehmen und nur noch vier Industriefirmen. Die größte Transformation ist jedoch nicht nur digital. Wenn Technologie alles entzaubert, müssen Marken neue Identitäten schaffen. Es geht um eineneue Unternehmenskultur.

Dr. Bühler Und da kommen dann wir ins Spiel. In der Kombination der Kommunikationsexperten von CB.emit uns Beratern der Berlin Digital Group können wir den digitalen Wandel in Unternehmen sowohl strategisch und technologisch als auch kommunikativ begleiten.

Wie steht es um die Nachfrage? Wollen bereits viele Kunden von dieser Kombination profitieren?

Clausecker Wir haben in der Tat sehr viele Anfragen. Und die meisten sind dringend. Die Unternehmen müssen schnell aktiv werden, der Druck nimmt weiter zu. Sie haben jetzt auch keine Zeit mehr, lange ins Silicon Valley zu fahren, um dort ein Sabbatical oder Ähnliches zu machen. Das Thema ist bei vielen zu lange auf kleiner Flamme gehalten worden.

Dr. Bühler Die Firmen machen derzeit die Erfahrung, dass die digitale Transformation eben nicht nur eine gute Story ist, wie das viele gerne hätten. Es ist vielmehr ein Change-Prozess, der Unternehmen fundamental verändert.

„Alles, was digitalisiert werden kann, wird auf Dauer auch digitalisiert werden“

Wird das denn jede Branche treffen? Oder gibt es digitale „Ausnahmen“?

Dr. Bühler Alles, was digitalisiert werden kann, wird auf Dauer auch digitalisiert werden, dafür sorgen schon die erheblichen Kosteneinsparungs- und Umsatzchancen. Es wird kaum Ausnahmen geben. Nur ein Beispiel: In der Energiebranche wandelt sich derzeit das komplette Geschäftsmodell, primär aus regulativen und technologischen Gründen. Heute kann jeder Bürger mit einer Solaranlage auf dem Dach nicht nur Strom für sich selbst erzeugen – sondern auch in das Netz einspeisen und daran verdienen. Das Geschäftsmodell hat sich eindeutig dezentral verlagert. Und die Digitalisierung erlaubt es, dies auch profitabel zu gestalten.

Sie sagen, der Druck sei hoch, aber es fehle an Strategien. Wie verbreitet ist denn überhaupt das Wissen über digitale Themen?

Clausecker Das Wissen ist durchaus vorhanden, wird aber nicht hinreichend genutzt. In vielen klassischen deutschen Unternehmen, gerade im Mittelstand, fehlt es noch an Affinität zum Thema. Für viele heißt Digitalisierung immer noch, dass alle ein Smartphone haben. Digitalisierung ist aber viel mehr, die Digitalisierung ändert Geschäftsmodelle, Organisationsstrukturen und Prozesse. Damit das erfolgreich gelingt, muss eine Veränderungskultur in denUnternehmen geschaffen werden.

Dr. Bühler Im Maschinenbau gibt es heute schon positive Signale in Richtung Digitalisierung. Das Verständnis ist mittlerweile breiter gestreut und man geht es auch schon praktisch an. Das gilt vor allem für das Thema Wartung. Sensoren übermitteln den Zustand von Maschinen, man kann aus der Ferne frühzeitig Verschleiß erkennen und rechtzeitig eingreifen. Das spart Wartungskosten und erhöht die Produktivität. Letztlich kann daraus ein tragendes Business-Modell entwickelt werden. Das haben bereits einige erkannt.

„Kundendaten sind das neue Gold“

Wenn die Vorteile doch nachvollziehbar sind, woran liegt es, dass viele deutsche Firmen noch zögerlich agieren?

Clausecker Vermutlich setzen viele noch auf die alten Tugenden; wir sind ja das Land der Ingenieure. Vielleicht macht uns das etwas zu selbstsicher. Tatsächlich befinden wir uns mitten in der vierten industriellen Revolution – und laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Ich glaube, dass es in ein paar Jahren einige DAX-30-Unternehmen in der jetzigen Form nicht mehr geben wird, wenn nicht gegengesteuert wird.

Worin liegen die Gründe für diese drohende Gefahr?

Dr. Bühler Viele Unternehmen haben aus organisatorischen, aber auch aus kulturellen Gründen Mühe, mit vorhandenen Daten zu arbeiten, und sie erkennen nicht, dass datenbasierte Geschäftsmodelle und die sogenannte „Plattform-Ökonomie“ ein wichtiger Teil der Zukunft sind. Viele sind auch nicht in der Lage, wichtige Daten ausverschiedenen Unternehmensbereichen zusammenzuführen.

Clausecker Das gilt auch und vor allem für Kundendaten. Kundendaten sind das neue Gold. Es gibt aber immer noch viele Unternehmen, die haben nicht einmal die E-Mail-Adresse ihrer Kunden. Solche Daten sind aber die Mindestvoraussetzung für eine Kundenorientierung und vor allem Voraussetzung, um Kunden frühzeitig in Entwicklungsprozesse einzubinden.

Kundenorientierung ist doch keine Erfindung des digitalen Zeitalters?!

Clausecker In gewisser Weise schon. Das Produkt ist heute weniger wichtig als der Service am Kunden. Wir sehen das an vielen Beispielen. Wer beschäftigt sich schon zu Hause mit der Qualität seines WLAN-Routers? Wichtig ist, dass der Telekommunikationsanbieter einen perfekten Service bietet. Die Annäherung an die Kundenbedürfnisse ist entscheidend, es muss heute gelingen, sich in den Kunden hineinzuversetzen.

Dr. Bühler Es gibt das schöne Beispiel vom Flughafen-Bus in Berlin. Ein Berliner Start-up hat mithilfe der verfügbaren Handydaten geschaut, aus welchen Teilen der Stadt die Menschen zum Flughafen Tegel fahren und welche Strecke sie zurücklegen. Dabei hat man festgestellt, dass die meisten Menschen nicht in der Nähe der Route der Flughafen-Busse ihren Weg anfangen, der Bus also sozusagen „falsch“fährt. Warum ist das so? Bei der Planung der Bustrecke hat man damals geschaut, auf welchen Straßen sich Busspuren einrichten lassen. Der tatsächliche Bedarf der Kunden ist aber ein anderer.

Grundsätzlich lässt sich die digitale Transformation vermutlich nicht verordnen. Wie gehen Sie vor, wenn Sie ein Unternehmen beraten, wie überzeugt man Führungskräfte und Mitarbeiter?

Clausecker In der Regel gibt es drei Gruppen in Unternehmen: zum einen die Beharrer;das sind die, die gerne hätten, dass alles bleibt, wie es ist. Dann gibt es die kreativen Träumer, die gerne auch mal Luftschlösser bauen. Und dann ist da noch die Gruppe der Challenger, also diejenigen, die glauben, es geht auch besser, die glauben, dass was passieren muss. Und mit genau denen fängt man an zu arbeiten.

Was ist da der erste Schritt? 

Clausecker  In der ersten Phase stellen wir ein Team zusammen, ein Challenge-Team, bestehend aus der Gruppe der „Challenger“ sowie Führungskräften, maximal zwölf Leute. Man muss auf jeden Fall auch die Führungsebene miteinbeziehen, wenn man den Wandel einleiten will.

Dr. Bühler Dann macht man Workshops zu wichtigen Veränderungstrends. Dabei geht es darum, ein Gefühl für das Ausmaß der Veränderungen zu bekommen: Welche technologischen Entwicklungen kommen auf uns zu, wie wird sich Gesellschaft und Arbeit in den nächsten Jahren entwickeln etc.?Wichtig dabei ist ein Horizont von vier bis acht Jahren, damit nicht von Anfang an der Druck da ist, aktuelle Probleme zu lösen.

Wo findet das statt? Im Unternehmen? In Ihrer Agentur?

Clausecker Wir schaffen im jeweiligen Unternehmen einen Raum, der sich von den anderen Büroräumen unterscheidet. Kein stylishes Büro, einfach ein kreativer Platz zum Diskutieren, Analysieren und Ausprobieren. Hier entstehen Prototypen. Es gibt Papier, Schere, Spielzeug, Lego, Kartons. Es geht darum, eine spielerische Arbeitsumgebung zu gestalten, auch um die Hemmschwelle zu senken. Vom Ort soll das Signal ausgehen: Hier ist alles möglich, probiert es einfach aus.

„Das Tor der Veränderung durchschreiten“

Und was wird dann ausprobiert?

Dr. Bühler Am Ende der ersten Phase malen beispielsweise alle gemeinsam ein Zukunftsbild, und zwar im wörtlichen Sinn. Sie sollen zeigen, wie die Welt von morgen aussieht, auch auf Basis der vorangegangenen Workshops. Das Gute dabei: Es passt nicht alles in ein Bild, das heißt, es zwingt zur Konzentration auf wirklich Wichtiges.

Clausecker Aus dem Zukunftsbild und der Analyse des Ist-Zustands des Unternehmens ergibt sich dann tatsächlich schon eine Geschichte, eine Story. Und dann kann man beginnen, in einem nächsten Schritt zu schauen, wie sich das Unternehmen, die Marke künftig positioniert, wie Entscheidungen antizipiert werden, wie ein Sinneswandel, wie die digitale Transformation gemeistert werden kann.

Dr. Bühler  Und mit jedem Schritt nähert man sich einem Veränderungsprozess, wir nennen es im Modell dann das Tor der Veränderung. Wenn das mal durchschritten ist, wollen die wenigsten zurück.

Die Führungsspitze zu überzeugen, ist das eine, aber wie erreicht man die Mitarbeiter, also diejenigen, die den Transformationsprozess tragen sollen?

Clausecker Wir vergleichen diese Wirkung gerne mit den Wellen, die ein Stein erzeugt, der ins Wasser geworfen wird. Genau so muss sich die digitale Transformation in Unternehmen „ausbreiten“. Es hilft nicht, sie zu verordnen, sie muss von Botschaftern ins Unternehmen getragen werden. Die Botschafter kommen aus dem Challenge-Team. Wichtig dabei: Mit den Botschaften müssen immer Kopf und Herz angesprochen werden.

Sabine Clausecker ist Vorstand bei der CB.e AG, Dr. Diethard Bühler ist Managing Partner Berlin Digital Group

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